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Wie soziale Medien unser Essverhalten beeinflussen

02 Mai 2025 5minuten

In den sozialen Medien gibt es eine Fülle von Videos mit Ernährungstipps und -trends. Problematisch wird es jedoch, wenn ungesunde Trends oder Halbwahrheiten verbreitet werden.


„Brot ist dein Feind!“, „Unser Trinkwasser vergiftet uns!“, „Diese zehn Lebensmittel führen zu einem frühen Tod!“ – Solche alarmierenden Behauptungen fluten regelmäßig die Feeds junger Menschen auf Instagram und TikTok. Die Botschaft scheint klar: Bestimmte Lebensmittel sind gefährlich, aber zum Glück hat der selbst ernannte Experte die perfekte Lösung parat.

Doch genau hier lauert die Gefahr, erklärt Dr. Torsten Bohn vom Luxembourg Institute of Health (LIH): „In sozialen Medien tummeln sich unzählige persönliche Meinungen, die unter dem Deckmantel eines ‚Doktortitels‘ verkauft werden. Das wirkt zunächst vertrauenswürdig. Als Konsumenten wissen wir jedoch nicht, ob die Person tatsächlich einen Doktortitel besitzt, in welchem Fachgebiet, und ob sie wirklich Expertise in Ernährungsfragen hat.“

Falschaussagen unter dem Deckmantel eines Doktors

Zwar werden in manchen Videos Studien zitiert, doch ohne Kontext können diese irreführend sein. „Die Ernährungswissenschaft ist kein exaktes Feld wie die Mathematik“, betont Dr. Bohn. „Sie basiert auf jahrelangen Beobachtungen und benötigt umfangreiche Datenmengen, um verlässliche Aussagen treffen zu können. Anpassungen an Empfehlungen an den aktuellen Wissensstand kommen vor.“

So kommt es, dass sich einige falsche oder halbfalsche Aussagen hartnäckig halten. Hier einige davon:

Eier und Cholesterin: „Die Behauptung, Eier würden den Cholesterinspiegel in die Höhe treiben, stimmt nur teilweise. Unser Körper produziert den Großteil des Cholesterins selbst. Eier komplett vom Speiseplan zu streichen, ist daher nicht zielführend – schließlich liefern sie wertvolle Nährstoffe.“

Die Sünde Brot: Entgegen vielen Social-Media-Behauptungen kann Brot, besonders in der Vollkornvariante, durchaus vorteilhaft sein. Es liefert wichtige Mineralstoffe und Vitamine sowie Ballaststoffe und hält länger satt. Allerdings rät Dr. Bohn zu moderatem Konsum, da viele, auch luxemburgische Brotsorten einen recht hohen Kochsalzgehalt aufweisen.

Kaffee als Flüssigkeitsräuber: Auch diese Vorstellung ist nur bedingt richtig. „Eine normale Tasse Kaffee hat immer noch einen positiven Nettoeffekt auf den Flüssigkeitshaushalt – besser als gar nichts zu trinken.“ Tatsächlich kann Kaffeekonsum (bis zu sechs Tassen täglich), wohl dank seiner sekundären Pflanzenstoffe sogar gesundheitsfördernd wirken.

Doch wie kann man solche Fehlinformationen entlarven? Generell rät er dazu, mehrere Quellen zu konsultieren. „Man sollte sich bei Ernährungsratschlägen auf Institutionen verlassen, die wissenschaftlich fundiert sind und nicht zu sehr von der Industrie oder anderen Lobbygruppen beeinflusst werden, wie nationale Ernährungsgesellschaften, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA)“. Auch die Verbraucherzentralen, wie in Deutschland, klären auf.uters.”

Die Schattenseiten von Ernährungstrends

Dr. Bohn beobachtet mit Sorge eine zunehmende Extremhaltung junger Menschen zum Thema Ernährung, befeuert durch Social-Media-Trends:

Auf der einen Seite stehen Phänomene wie Mukbang-Challenges, bei denen Menschen überdimensionale Portionen, etwa frittierte Speisen, vor laufender Kamera verschlingen. „Solche Videos mögen zunächst unterhaltsam wirken, doch vom Nachahmen rate ich dringend ab“, warnt Dr. Bohn. Die gesundheitlichen Folgen können gravierend sein: „Bei schneller Nahrungsaufnahme bleibt das Sättigungsgefühl aus. Langfristig drohen nicht nur Adipositas, sondern auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie ein erhöhtes Schlaganfallrisiko.“ Der tragische Tod eines 24-jährigen TikTokers, der täglich solche Videos postete, unterstreicht diese Gefahr.

Am anderen Ende des Spektrums steht „SkinnyTok“, wo Hungern glorifiziert und übertriebene Disziplin als Lifestyle vermarktet wird. Oder der Trend zu „Clean Eating“, bei dem nur noch unverarbeitete Lebensmittel konsumiert werden. „Diese krampfhafte Fixierung birgt ein hohes Risiko für Essstörungen“, warnt der LIH-Wissenschaftler. „Irgendwann dreht sich alles nur noch ums Essen. Besonders wenn man beginnt, sich bestimmte Lebensmittel zu verbieten, wird die Versuchung, genau diese zu konsumieren, übermächtig.“ Schließlich solle das Essen auch ein gewisses Maß an Freude bereiten können.

Auf das Gesamtpaket kommt es an

Die in sozialen Medien oft propagierte perfekte Ernährungsform für alle existiert nicht. Was für den einen funktioniert, kann für andere eher ungeeignet sein. „Intervallfasten mag für einen Büroangestellten praktikabel sein, der morgens problemlos auf das Frühstück verzichten kann. Für einen Bauarbeiter mit körperlich anstrengender Tätigkeit könnte dieselbe Methode jedoch kontraproduktiv sein“, erklärt Dr. Bohn.

Entscheidend sei vielmehr das Gesamtbild: „Wie Paracelsus schon erkannte: Die Dosis macht das Gift. Eine Ernährung wird nicht automatisch ‚ungesund‘, wenn sie z.B. gelegentlich Süßes beinhaltet.“ Wichtiger sei es, insgesamt auf ausreichend Ballaststoffe in
Form von Obst und Gemüse oder Vollkornprodukten zu achten, gesüßte Getränke und Fertigprodukte zu reduzieren und regelmäßig zu essen.

Der Weg zu einer gesünderen Esskultur

Die Situation in Luxemburg ist alarmierend: Über 60 Prozent der Bevölkerung kämpfen laut Bohn mit Übergewicht oder Adipositas. Etwa 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fließen in die Behandlung damit verbundener Erkrankungen – mit steigender Tendenz.

Statt Lebensmittel zu verteufeln oder zu verbieten, plädiert Torsten Bohn für Prävention: „Wir müssen früh ansetzen und nicht erst, wenn es bereits gesundheitliche Probleme gibt.“ Das beginne in der Schulkantine und gehe am Arbeitsplatz weiter – etwa mit Obstangeboten statt nur Snackautomaten oder der Einrichtung von Stehtischen.

Nicht zuletzt sei es wichtig, eine echte Esskultur wiederzubeleben, die in den vergangenen Jahren zunehmend verloren gegangen sei. „Die Menschen nehmen sich oft nicht mehr die Zeit zum Essen und konsumieren ihre Mahlzeiten unbewusst vor Handy oder Computer.“ Dabei sollte Essen wieder mehr in einem sozialen Rahmen stattfinden. Also: Mittagspausen am besten wieder im Terminkalender blocken.

Dieser Artikel wurde von Sabrina Backes verfasst und ursprünglich auf Luxemburger Wort veröffentlicht. Den Originalbeitrag finden Sie hier.

Scientific Contact

  • Torsten
    Bohn
    Group Leader, NutriHealth

    Department of Precision Health

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